Wie immer zu Beginn, zeichne ich den Mund grob in seinen Proportionen auf das Blatt. Ob das Ganze wackelig oder unsauber aussieht und zwei, drei Striche statt einer Linie sind stört jetzt nicht weiter, weil sich - wie sich im Verlauf zeigen wird - alles zu seiner Zeit fast wie von selbst richtet. Also radiert bitte nicht ständig rum, wenn es noch gar nicht nötig ist. Das spart nicht nur Zeit, sondern schont auch das Blatt. Denn manchmal ist das Graphit, was Skizzierungslinien auf das Blatt bringen, doch recht nützlich.

    Danach erhalten die Lippen ihren ersten Anstrich mit einer senkrecht (perspektivisch) verlaufenden Linienschraffur. Senkrechte Linienschraffur deshalb, weil sich dadurch die dünnen Lippenfältchen besser imitieren lassen. Wichtig hierbei ist, nicht stumpfsinnig gerade Linien zu ziehen, sondern der Lippenwölbung angepasst verlaufende leichte Bögen. Da die Oberlippe später dunkler sein soll/wird, ist der Abstand zwischen den Linien geringer als auf der Unterlippe. Außerdem ist es meist so, dass die Unterlippe voller ist und sich die Fältchen darauf weiter spreizen. Hinzu kommt noch die zu beachtende Lichteinstrahlung, die meist eh von oben kommt und dadurch die Unterlippe heller erscheinen lässt.



    Nun verwische ich die Schraffur mit dem kleinen Finger entlang der Lippen und somit gegen den Strich, damit die noch freien Stellen auch etwas Graphit abbekommen. Dadurch "verschwinden" auch die Unsauberheiten der Konturen bereits ein wenig. Nach jedem Wischgang streiche ich mir den Finger an einem Zellstofftaschentuch oder der anderen Handinnerfläche sauber. Den Finger nehme ich deshalb, weil das Graphit an der Haut mehr "kleben" bleibt und sich so "heller" verwischen lässt. Das heißt, ich trage das Graphit mehr vom Blatt ab, als es zu verteilen. Ein Wischstift würde, zumal wenn dieser an der jeweiligen Spitze bereits benutzt wurde, das Graphit mehr oder minder eins zu eins auf die anderen Flächen weitertragen und dadurch dunkler werden lassen. Wie man auf der Unterlippe sehen kann, sind die Linien noch recht gut zu erkennen und sind nicht komplett verwischt.

    Jetzt folgt eine zweite Schicht mit Linienschraffur, diesmal aber nur auf die untere Hälfte der Lippen. Auch kann der Abstand der Linien auf der Unterlippe nun geringer sein, da ich an dieser Stelle jetzt dunkler werden möchte.





    Diesmal verwende ich allerdings den Wischstift, um das Graphit ordentlich und deckend zu verteilen und nicht abzutragen. Dabei ist es nicht wichtig, exakt an die vorskizzierten Konturen ranzuwischen. Ganz im Gegenteil: Es darf sogar ein bisschen ungleichmäßig sein, damit es natürlicher wirkt. Das gilt zumindest für die Unterlippe. Bei der Oberlippe ist es schon sehr hilfreich, etwas genauer zu arbeiten. Dort sollte man nämlich beim Verwischen nicht auf die Unterlippe verrutschen und auch schon bündig an die Kante ran wischen. Schließlich kommen selten Lichtreflexe unerwartet von unten bzw. wollen wir auch keine Flecken - soll ja keine Kuh werden.

    Schaut euch noch ein letztes Mal die wackeligen und unschönen Konturen drumherum (vorallem an der Unterlippe) an, denn ...



    ... es wird Zeit, sich von diesen Konturen zu trennen und ich radiere sie heraus. Ein leichter Schimmer der Konturen - besonders an der Oberlippe - darf bleiben, weil er zum Einen der ("besseren") Abtrennung dient und zum Anderen mit der Zeit weiter verblassen wird. An der Unterlippe wird der Schimmer eh gleich in den entstehenden Schatten mit integriert und "verschwindet" dadurch.

    Mit ein bisschen grobmotorischem Feingefühl zeichne ich nun eine dem Verlauf der Unterlippe entsprechende Linie, aus der ich mir einen Schatten machen will. Wichtig ist, dass die Linie eher aufhört, als später der Schatten lang sein soll.





    Im folgenden Schritt nehme ich mir wieder den Wischstift zur Hand und verwische diese Linie nach unten bzw. auch immer mal wieder entlang der Linie/des Schatten, um diesen Bereich weich zu schattieren - ich will schließlich keine Sonnenstrahlen. Wo ich vorher mit der Linie für den Schatten eher aufgehört habe, als sein eigentlicher Verlauf sein soll, ziehe ich das Graphit mit dem Wischstift in die entsprechende Richtung und erhalte so einen schönen weichen Schattenverlauf.

    Im Grunde genommen habt ihr nun eigentlich so weit schon einen (fast) fertigen Mund, der zugegebener Maßen noch recht simpel ist, für eine schnelle Zeichnung oder eine Skizze aber durchaus reichen würde. Dennoch wollen wir ja mehr - vorallem Realismus - und darum geht es nun weiter mit dem Setzen von Akzenten und dem Herausarbeiten von speziellen Lichteinfälle sowie den daraus resultierenden Schatten.



    Ok, dann setzen wir mal Akzente. Zuerst trenn ich nun beide Lippen durch einen "kräftigen" und klaren Konturstrich, wobei mit "kräftig" nicht gemeint ist, das Papier zu quälen. Danach stichel ich mir an dieser Lippenkante eine dünne Schraffur auf die Unterlippe, da diese Stelle bekanntlich - wir gehen immer noch davon aus, dass Licht nach wie vor von oben scheint - ein wenig dunkler ausfällt, wie es mit den meisten Wölbung ist, wenn sie nicht einer direkten Bestrahlung durch eine Lichtquelle ausgesetzt sind. Und auch hier, wie schon die ganze Zeit über, darauf achten, dass die Schraffur perspektivisch auf der Unterlippe verläuft.
    Wir bleiben auf der Unterlippe und die Stellen, die jetzt erstmal so hingekritzelt aussehen, sollen nochmal mehr Fülle und räumliche Tiefe bewirken.

    Um das obere Ende der Oberlippe später nicht ganz so blaß aussehen und scheinbar fließend in das Gesicht übergehend zu lassen, hinterlasse ich dort auch noch ein wenig Graphit mit dem Bleistift und verwische das mit dem Wischstift. Auch für den Wölbungsschatten unter der Unterlippe gibt es nochmal eine Auffrischungs- und Abdunkelungslinie, die auch wieder mit dem Wischstift schön gleichmäßig in Richtung Kinn und Wangen breit gezogen werden soll.





    Die Schraffur unterhalb der Lippenkonturkante verwische ich schön weich nach unten. Dabei ist es gar nicht so unpraktisch, wenn ihr ein wenig von der Lippenkonturkante mit er- und verwischt. Das lässt es weicher und natürlicher aussehen. Jetzt verwische ich noch die Krakel und die zwei dicken Striche (die wie Piercing-Ringe aussehen) auf der Unterlippe. Mit dem restlichen am Wischstift haftenden Graphit zeichne ich nun noch ein paar weitere Lippenfältchen. Dafür drehe ich den Wischstift so, dass ich die mir flach geschnitzte Kante nehmen kann. Dabei ziehe ich mit Gefühl kurze Striche von der Schattierung unter der Lippenkonturkante aus in den darunterliegenden helleren Bereich. Der eine oder andere Strich kann auch von unten in den hellen Bereich verlaufen bzw. die eine oder andere Linie durchgängig sein.

    Die Lippenkonturkante zeichne ich nun nochmal mit einer ganz dichtgeführten Wellen-/Zitterlinie nach bzw. stärker, um diese nicht wie einen plastisch glatten Strich aussehen zu lassen, sondern schön weich. Von der Lippenkonturkante aus strichel auch auf die Oberlippe nochmal eine weitere Abdunklungsschraffur. Das Stricheln hat auch hier wie schon die ganze Zeit den Sinn, die Lippenfältchen zu imitieren. Deshalb verwische ich diese Schraffur auch nur dicht an der Lippenkonturkante quer, um diesen Bereich füllig und dunkler wirken zu lassen, ziehe ansonsten die Striche mit dem Wischstift nach oben ab/weg.



    So, die Lippen sind soweit fertig. Nun geht es darum aus diesen auch einen Mund zu machen - sozusagen einen Teil des Gesichtes, in dem wir die Lippen in das Gesicht einarbeiten. Unten ruht der Mund ja nun schon dank Schattierung auf/über dem Kinn und befindet sich nicht bloß stumpf im unteren Teil des Gesichtes. Fehlt also noch die Einbindung des Bereiches zwischen Oberlippe und Nase - der sogenannte Lippenkeil. Für diesen nutze ich auch wieder nur das restliche Graphit an der Spitze des Wischstiftes vom letzten Verwischvorgang und wische das ähnlich wie 2 Līs zwischen Nase und Oberlippe. Anschließend verwische ich diese Līs nach rechts in zwei weiche Übergänge ins Weiß des Blattes. Dabei lasse ich allerdings gleich ein klein wenig Platz zwischen den Lippenkeilschattierungen und der Oberlippe, was man zur Not später auch herausradieren oder nachbessern kann. Jedoch entstehen beim Radieren auch immer Kanten und so bin ich persönlich lieber bestrebt, entsprechende Bereiche besser gleich freizulassen, weil das so natürlicher aussieht.

    Wenn ihr nun dieses letzte Bild aus ein bis zwei Meter Entfernung zu eurem Monitor betrachtet, seht ihr, dass dieser Mund an Realismuswirkung gewinnt, was sich verstärken wird, je weiter ihr euch wegbewegt und der Mund dadurch "kleiner" wird. Falls sich jetzt noch einer fragt, warum ich keine dünnen kontrastreichen Lippenfältchen (z. B. mit einem Druckminenbleistift) eingezeichnet habe, dem sei erklärt, dass es sich hier um einen breiten Mund handelt, der schmunzelt und sich dadurch die Lippenhaut dehnt und strafft. Diese dünnen Fältchen sind dann eben keine kleinen Linien mehr, sondern eher breite Schatten. Das breite Schmunzeln geht zugegeben in dieser Großaufnahme nicht ganz hervor und wird erst beim ganz dargestellten Gesicht erkennbar.